Im Rahmen des ersten deutschen Projekt DSTRCT.Berlin haben wir mit dem hiesigen Denkmalschutz konstruktiv und erfolgreich zusammengearbeitet. Unsere Ansprechpartnerin, Frau Kerstin Lindstädt, hat uns in einem Gespräch an ihren Gedanken zum Thema Denkmal teilhaben lassen:
von Kerstin Lindstädt
Architekten, Werbeagenturen, IT-Unternehmen. Aber auch der hochwertige Bio-Lebensmittelhändler oder eine gesunde Szene-Küche und Event-Gastronomie. Das alles sehe ich zum Greifen nahe, bei jeder Ortsbegehung: Diese großzügigen Hallen, die historische Industriearchitektur, mitten im Berliner Szene-Viertel Prenzlauer Berg, auf dem Gelände des ehemaligen Zentralviehhofs aus der Kaiserzeit, werden bald voller Menschen sein. Sie werden hier arbeiten, essen, sich austauschen. Ich habe das Projekt als leitende Denkmalschützerin begleitet, und diese Phase ist bei fast jeder Aufgabe ein Highlight: Wenn man spürt, dass alte Mauern nun bald wieder genutzt werden. Dass ein brach gefallener Ort von den Menschen wieder angenommen wird. Ein Denkmalschützer möchte keine Museen schaffen, er möchte lebendige Räume.
„Bessere Ideen“
Aus den Vermietungsgesprächen des Bauherrn weiß ich: noch ist alles offen. Ob es am Ende also wirklich Architekten und Event-Gastronomen sind, die in die Klinkerhallen einziehen, ist nicht sicher. Vielleicht wird es auch ein innovatives Umwelt-Start-up neben einer Fair-Trade-Coffee-Meile. Ich sehe in jedem Fall etwas Außergewöhnliches. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass herausragende Gebäude auch herausragende Unternehmen anziehen. „Es macht einen Unterschied, ob man in ein x-beliebiges Haus reingeht oder in etwas Besonderes.“ Das hat der Leiter eines Kreativunternehmens einmal gesagt, der an einer Interviewreihe über profilbildende Arbeitsräume teilnahm. Es gehe demnach um einen Auftritt, um eine Firmensignatur, um das Look-and-Feel im Spannungsfeld zwischen altem Gebäude und neuer Denkweise der Menschen, die dort arbeiten. „Ein gutes Umfeld schafft bessere Ideen“, hat die Leiterin einer Werbeagentur in derselben Interviewreihe gesagt.
Ausbruch aus Konventionen
Es sind nach meiner Beobachtung die rauen Oberflächenstrukturen, die gänzlich anders sind als das, was heute im Neubau entsteht. Und die sichtbaren Deckenträger in enormen Geschosshöhen, die man heute einfach nicht mehr realisiert: Hier auf dem ehemaligen Zentralviehhof sind die Decken neun Meter hoch, das ist dreimal so viel wie in guten Neubauten! Es ist der Ausbruch aus den heutigen Baukonventionen, der historische Hallen und vor allem eben auch schützenswerte Denkmale zu anziehenden Arbeitswelten für kreative, kluge und Genussmenschen macht.
Graffiti erhalten
In diesem Fall kommt noch hinzu: Der Vermieter wollte teilweise das Graffiti, das sich in den Jahren des Leerstands in den Hallen verbreitet hat, für die Zukunft erhalten. Das ist aus denkmalpflegerischer Sicht durchaus heikel, gilt es doch, die Oberflächen als Zeitzeugen möglichst wieder in einen originalgetreuen Zustand zu versetzen. Allerdings waren einige Graffiti wirklich sehr kunstvoll und der Vorschlag des Vermieters war charmant. Wir haben als offizielle Stelle einem teilweisen Erhalt dann doch zugestimmt: Letztlich haben wir auch im Graffiti einen zeitkulturellen Wert. Und die Qualität der Räume wird nochmal unterstrichen: Die künftigen Mieter werden den Unterschied erkennen zwischen einem kuratierten, für den neuen Zweck nachträglich aufgesetzten Graffiti und dem hier gewählten authentischen, das mit der Gebäudehistorie verbunden ist. Man darf in derartigen Fällen, wenn sonst alles stimmt, den Denkmalschutz nicht zu eng denken. Ein Denkmalschützer möchte wie gesagt keine Museen schaffen, er möchte lebendige Räume.
Über die Autorin:
Kerstin Lindstädt ist Leiterin des Fachbereichs Denkmalschutz im Stadtentwicklungsamt des Bezirks Pankow von Berlin. Sie ist seit 30 Jahren Denkmalschützerin und Verfasserin des Buchs Berlin-Pankow – Aus der Orts- und Baugeschichte“. Kerstin Lindstädt hat ihre Begeisterung für kulturell und architektonisch wertvolle Substanz schon in der Kindheit gelebt: Sie ist selbst in einem Denkmal aufgewachsen und war früh handwerklich aktiv. Vor ihrer behördlichen Laufbahn hat sie als Maurerin gearbeitet und Hochbau studiert.